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Prosa ohne Punkt und Komma oder über die Sprache
habe zu meinen eigenen Worten eine ganz andere Einstellung als die anderen so Wittgenstein ich auch aber aus einem ganz anderen Grund ich versuche meine gesprochene Sprache zu vergegenwärtigen aber immer wieder verschwinden meine Worte zumindest wenn ich etwas genau sagen will dann versteckt sich das Wort schurkenschelmenhaft in den Büschen wartet darauf gefangen oder besagt zu werden habe etwas auf der Zunge es ist aber nicht das Gedachte würde ich einem Sprachbesitzer erzählen dass ein kryptogener Blitzhirnschlag bei mir eingeschlagen hatte mich zum halben Baum gemacht einfach zweigeteilt Wurzeln aus der Erde seziert erstarrt im Starren abgewendet wusste what happened to me grundlos hatte meinen Raum genommen abgeräumt ausgelöscht ausgemerzt ausradiert mein Sprechen ich bewohnte einst eine Insel umgeben von einem gewaltigen Meer von heranwirbelnden Sprachtexten mir wurde das plughole geöffnet das ganze Meer versickerte da hinab Buchstabenverfolgung ein Buchstabe bedeutet recht wenig aber wiederplatzieren ist mühsam Wortbruchstellen Sonnenlicht hindurchfallend das ist alles lang her ich kann wieder sprechen meine Zunge erprobt neue Geräumlichkeiten sowieso das Vorlesen meines Geschriebenens dient mir als Geländer Eigensprachigkeit vom halben Baum wurzelschlagende wie der Mortonbay Fig Tree mit seinen rippenartigen Wurzelgebilden stämmige Kampfansage ums Licht geht’s dem Feigenbaum um Worte geht’s mir Luftwurzeln von den Ästen der grossblättrigen Feige ausgehend erdwärts purzelnd wurzelnd gesprochenes und geschriebenes erdend bei mir metaphorische grossblättrige Feige trage dich in Gedanken auf zwei Fronten Identitätskampfansage ich-bin-wie-ich-schreibe keine zerschubladisierende Sprachzollwächter ich-bin-was-ich-rede keine autozensurierende Redeweiseinstanz trotz Stimmunterbrochenseins vergegenwärtigende Wortverankerung Luftwurzelschreiben um Worte einzufangen wortanbahnend als schreibende Stimme Worte verpfalzend verpflanzen Identitätsverankerung nicht Selbst-Vergessenheit wie gelesen manchmal irre ich durch die Sprachgassen mit übergestülptem Sack musste lernen dass Sprache nur atemgebildetes Luftgebäude ist zumal für mich Sprache ist kein Privatbesitz was allen Sprachbesitzern jedoch unabänderlich zu sein scheint zudem geben sie mir Wortalmosen für die entsetzlichen Lücken Sprache soll an die Welt gekettet sein als Luftgebilde wie soll das gehen Worte fliehen vor mir doch ein anderes bleibt kleben geschriebenes ist fixiertes ja gesprochenes tut sowieso was es will Denken anstatt Sprache als identitätsbildende Instanz zwischen Denken und Gedachtesausdrücken liegt eine Sprachzitrone vielleicht Keime des Gesprochenen Denken zum Geschriebenen herausfordern Identität aufgewühlt von Wortwogen wo ist meine beschützende atmende Sprachhaut auf Eis gelegt in der Zeit fliessende more as glacier doppelt ungreifbare Stimme von mir das Wort soll an die Welt geheftet sein so lese ich Wort ist Anbindung an die Welt deren Fesseln Worte sind snake biting its tail aber meine Worte fliehen vor dem Gesprochenwerden Denken und Schreiben ist Identitätsverankerung für mich jedenfalls schreibende Stimme ist wortanbahnende Stimme denkende Stimme ist kämpferische mir das Sprechen wieder verwirklichende Stimme Wahrnehmungsspielraum Person kommt von per sonare durch tönen ja ich weiss wenn man ins Sprachlose verbannt wird hat man anscheinend kein Anrecht wie eine normale Person behandelt zu werden so kam’s mir vor monologisierende Gesprächspartner meine Sätze beendigende Wortbesitzer denen eine Entschleunigungskur wirklich gut tun würde ich bräuchte die Zeit die sie mir verschlingen mein aussprechendes Selbst wird bitterunweigerlich an der Sprachidentitätgrenze angehalten soll ich ihnen weisse Lügen anbinden oder meine mir jetzt grundlangweilige Leidensgeschichte beichten beides ist wutanbahnend einmal über die Sprachzollwächter dann auch über mich die Abermals-Angelbaumelnde lasse mich nicht kleinkriegen begehre auf Denken Sprache Stimme sind Identitätwurzeln in meiner inneren Stimme hab ich keine unterbrechenden Stillelaute auch kein konstanter fremdartiger Akzent dahergeflogen raumschaffendes ich hatte meinen Atem selbstschützend nach innen führend bewegt langsam emporatmender Hauch sanftleise dem Spiel einer Stimme entlangkostend sodass der Atem die Sprache in mir drin einfängt mit Genugtuung ins Freie ausspeit ausspielt noch nicht meine alte Sprachstimme noch nicht doch ein gewisser Ton meiner der Hauch er überrascht mich raumverlangender Atemhauch flüchtig unvorhersehbar aber fühlbar manchmal gar nicht mein Ton klangkratzend dennoch meins flatternder Stimmfalter
© Corinne Othenin-Girard 2020